Erinnerung
Der DHL-Mann klingelt und schiebt mir ein sehr gut verpacktes Paket in den Flur.
Das letzte Woche ersteigerte neue gebrauchte Tapedeck ist angekommen. Ersatz für das Vintageteil, das kürzlich seinen Geist aufgegeben hat. Wozu braucht man in Zeiten von Deezer und Spotify noch ein Abspielgerät für Audiokassetten? Zum Abspielen der Mixtapes, die ich von 1989 – 1996 mit viel Liebe für das billigste Autoradio das Globus Essen-Steele im Angebot und ich in meinem ersten Auto laienhaft befestigt hatte, zusammengestellt habe. Ein SEAT Marbella Sondermodell „Jeans“ – spanischer Lizenzbau des italienischen Klassikers „Panda“. 34 PS und als einziges Extra der stufenlos verstellbare Aschenbecher. Viele Jahre im Handschuhfach haben dem Klang etwas Brillianz genommen. Pralle Sonne im Sommer, Pfützen von dem Beifahrersitz bei Regenwetter und von innen zugefrorene Scheiben im Winter stellten die Magnetbänder auf eine harte Probe. Aber die meisten Tapes laufen noch ohne großes Geleier – besonders die TDK SA-90 haben sich bewährt. Der Austausch des Tapedecks in der Küche geht schnell. Bei ersten Versuch sitzen die roten und weißen Pippel für IN/OUT richtig an der schlecht einsehbaren Rückseite des Receivers. Probelauf mit Tape Nr. 1 – „Die unendliche Geschichte“, die immer wieder umgedreht wurde so lange die Fahrt dauerte. Z.B. auf dem Weg zum Hattinger Altstadtfest – wo ich gar nicht hin wollte, aber einfach einen Grund zum Rumcruisen brauchte. Oder wenn ich die jüngeren Mitglieder der Band auf dem Weg zum Proberaum einsammelte. Es folgten weitere Tapes, die immer nach Fertigstellung auch einen besonderen Namen brauchten. „Die unendliche Geschichte – Teil 2“. „Angriff der alten Tanten“, „Heiße Scheiben/ kalte Platten“ oder „M;ixed Emotions“. Und wenn ich heute beim Kochen eins von diesen Tapes höre, weiß ich immer noch genau welches Lied als nächstes kommen wird. Und wo ich es mal gehört habe. Auf der endlosen Fahrt nach Südtirol zum billigen Urlaub bei den zukünftigen Schwiegereltern. Bei den Kurztrips nach München, Berlin und den damals noch ziemlich neuen Bundesländern mit der zukünftigen Ehefrau. Beim Pendeln zwischen Heimatstadt und Ruhr-Uni-Bochum. Auf dem Weg zu Prüfungen, Arztbesuchen, Parties und zum Getränkemarkt. Wenn ich mal ins betreute Wohnen umziehe kann das meiste Zeug in den Container. Aber die Stereoanlage samt Tapes und Platten kommt mit.
Angaben zum Experienten/ zur Experientin:
Name: Joachim Reichert
Geschlecht: männlich
Angaben zum Experiential Recording:
Erinnerungstag: 23.03.2021
Erinnerungszeit: 10:24 Uhr