Rede von Ulrich Greb
Solidarität der Vielen, Kundgebung 31.01.2022
Seit einiger Zeit werden mir Wörter und Begriffe gestohlen. Sie bestimmen meine Arbeit und mein Leben und bedeuten mir viel: Freiheit, Demokratie, Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Vertrauen, Liebe und – ja – auch Querdenken.
Das Querdenken als Kreativitätstechnik ist wesentlich für künstlerische Prozesse. Es ermöglicht andere Blickrichtungen, neue Perspektiven, die z.B. im Schutzraum einer Bühne ausprobiert, gegeneinandergestellt, im Dialog mit dem Publikum öffentlich diskutiert werden. Die genannten Begriffe bilden dabei für mich das Fundament für eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Diese Begriffe aber werden seit einiger Zeitgezielt vereinnahmt, politisch missbraucht und verhöhnt: um zu provozieren, um Verwirrung zu stiften, um die Grenzen zwischen Fakten und Behauptungen zu verwischen und dazu Meinungen zu relativieren. Damit wird jeder konstruktiven, inhaltlichen Debatte die Grundlage entzogen.
Welcher Schamlosigkeit bedarf es – besonders in Deutschland – die NS-Zeit zu instrumentalisieren? Welche Geschmacklosigkeit und Geschichtsvergessenheit treibt „Querdenkende“ dazu, sich mit Widerstandskämpferinnen und Holocaust-Opfern gleichzusetzen?
Das alles erinnert in erschreckender Weise an das, was der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno 1967 zum Wiedererstarken der rechtsradialen NPD festgestellt hat. Er bringt die Kommunikation der politischen Rechten auf den Punkt und damit auf ihren alten Namen zurück: Das ist Propaganda! Die alten Tricks der NPD sind auch die heutigen: Pseudowissenschaftliche Vorgabe von Kenntnissen, Falschinformationen und bewusste Lügen, die Monopolisierung des vermeintlich Volkseigenen, um alle Gegner als Feinde des Volkes erscheinen zu lassen. Hinzu kommt die permanente Wiederholung von Tabubrüchen, um die Grenzen des Sagbaren und gesellschaftlich Akzeptierbaren systematisch zu verschieben.
Hier sind wir alle gefordert: Die Ungewissheit und Unsicherheit, die die Pandemie mit sich bringt, die Ängste, die sie erzeugt, sind perfekte Türöffner für Manipulation und Propaganda. In Zeiten der Unsicherheit wächst die Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Die gibt es nicht! Es ist wichtig, dass wir das aushalten, mit wachem Herzen und klarem Verstand. Das ist anstrengend, mühsam und notwendig.
Dennmachen wir uns nichts vor:Die Attacken der rechten Bewegungen werden jede Unsicherheit, jede Orientierungslosigkeit, jede Angst, nach immer demselben Muster für sich nutzen. Das war so beim Thema Migration, das erleben wir jetzt, und das wird beim Thema Klimawandel nicht anders sein.
All diese gesellschaftlichen Herausforderungen sind groß und bei der Bewältigung passieren zwangsläufig Fehler. Diese gilt es natürlich zu kritisieren und zu verbessern. Auch lautstark. Aber getragen vom Willen, Lösungen zu finden, die dem Gemeinwohl dienen. Das gelingt nur zusammen. Die Stärke einer Demokratie liegt in der Solidarität! Niemand kann sich dabei auf eine Zuschauerposition zurückziehen.
Deshalb müssen wir hellwach sein, wenn die aktuellen Probleme missbraucht werden, um unsere demokratische Kultur und damit verbunden unser Menschenbild der unantastbaren Menschenwürde zu untergraben.
Der Schriftsteller Henry Louis Mencken liefert dafür einen wirksamen Schnelltest. Er sagt: „Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch!“
Ulrich Greb
Schlosstheater Moers
Foto: Bettina Engel-Albusti